Die Kegelrobbe – Raubtier mit Kulleraugen

Die besagten Kulleraugen täuschen uns Menschen vielleicht ein wenig. Schließlich gehört die Kegelrobbe in Deutschland zu den größten freilebenden Raubtieren. Weil sie ein hervorragender Jäger ist, haben wir Menschen sie als Nahrungskonkurrenten gesehen und vor 100 Jahren fast ausgerottet. Mittlerweile haben sich an den Küsten der deutschen Ostsee dank eines Jagdverbotes und besserer Wasserqualität wieder 30.000 Tiere angesiedelt.

Merkmale
Die Kegelrobbe (Halichoerus grypus) gehört - neben Seehunden und Schweinswalen – zu den drei Meeressäugerarten, die in Deutschland beheimatet sind. Wie Seehunde gehört sie zu den Hundsrobben.
Ihr Name leitet sich von ihrem langen, kegelförmigen Kopf ab, auch ihre spitzen Zähne sind kegelförmig. Bei einer Körperlänge von 2,50 Metern bringt die Kegelrobbe bis zu 300 Kilogramm auf die Waage, wobei die Weibchen etwas kleiner und leichter sind.
Das Fell ist dicht und kurz. Die Männchen haben einen grauen Grundton und sind hell gefleckt, während die Weibchen ein helles Fell mit dunklen Flecken haben. Muster und Flecken sind individuell und helfen dabei, Tiere zu identifizieren.
Jungtiere haben in den ersten Lebenswochen ein weißes Fell, das sogenannte „Lanugo“. Es ist zum Schwimmen ungeeignet, weil es sich mit Wasser vollsaugen würde. Erst nach dem Fellwechsel im Alter von etwa vier Wochen folgen die Jungen ihren Eltern ins Wasser.
Kegelrobben besitzen keine Ohrmuscheln, haben aber ein sehr empfindliches Gehör, das ihnen das Richtungshören ermöglicht. Ihre Barthaare, auch „Vibrissen“ genannt, ermöglichen ihnen die Orientierung unter Wasser sowie das Aufspüren der Beute, sogar bei völliger Dunkelheit. In freier Wildbahn und unter optimalen Bedingungen beträgt die Lebenserwartung bei Weibchen 45 Jahre und bei Männchen etwa 30 Jahre.
Obwohl Kegelrobben an Land, z. B. auf Felsen oder Sandbänken, eher behäbig und schwerfällig wirken, können sie für kurze Zeit sogar mit bis zu 20 km/h galoppieren – schneller als ein Mensch! Im Wasser bewegen sie sich mit ihren Hinterflossen wendig und bei einer Geschwindigkeit von bis zu 35 km/h sehr schnell. Sie können laut Deutsche Wildtierstiftung bei der Jagd bis zu 400 Meter tief tauchen und die Luft bis zu einer halben Stunde anhalten. Dies ist jedoch eher die Ausnahme; meistens tauchen sie nur bis zu 100 Meter tief und bleiben maximal acht Minuten unter Wasser.
Dies verdanken sie einer speziellen Technik: Bevor sie abtauchen, atmen sie kräftig aus, denn eine volle Lunge könnte dem Wasserdruck nicht standhalten. Den nötigen Sauerstoff für den Tauchgang speichert die Robbe in den Muskeln. Ihre dicke Speckschicht, der sogenannte „Blubber“, schützt sie dabei vor der Kälte. Sie zehren von dieser genialen Energiereserve während des Fellwechsels von Mitte Februar bis Mitte Mai sowie während der Aufzucht der Jungtiere, wenn sie hauptsächlich an Land leben.

Lebensraum und Nahrung
Insgesamt gibt es drei große Populationen der Kegelrobbe: die westatlantische (nordamerikanische Küste), die ostatlantische (Nordsee und Küsten Großbritanniens, Irlands, Islands) sowie die baltische (Ostsee). Verbreitet ist sie hauptsächlich in subarktischen bis kalt-temperierten, felsenreichen Küstengebieten des Nordatlantiks, von der kanadischen Küste über Island, Großbritannien und Irland sowie dem europäischen Festland bis hin zur russischen Kola-Halbinsel.
Seit sich Kegelrobben in Deutschland wieder vermehr ansiedeln, tauchen sie in der deutschen Ostsee immer häufiger auf. Im Greifswalder Bodden sowie den Gewässern um Rügen, Usedom und Darß leben sie mittlerweile ganzjährig. Die Bestandsdichte ist allerdings noch klein.
Die Tiere unternehmen keine größeren Wanderungen, von gelegentlichen Streifzügen einzelner Jungtiere abgesehen. Liegen sie nicht an Land, treiben sie sich irgendwo weit verstreut in ihrem Verbreitungsgebiet herum. Als opportunistische Räuber jagen Kegelrobben das, was sich gerade am leichtesten schnappen lässt. Somit ernähren sie sich überwiegend von Fisch, z. B. Dorsch, Scholle, Lachs, Tintenfisch, Flunder, Kabeljau, Hering und Plattfisch, aber auch von Krebs- und Weichtieren wie Garnelen und Schnecken. Angriffe auf Seehunde und junge Schweinswale kommen ebenso vor. Eine ausgewachsene Robbe benötigt etwa sechs Kilogramm Nahrung pro Tag.

Lebensweise und Fortpflanzung
Der Lebensrhythmus der Kegelrobben richtet sich nach den Gezeiten. Bei Ebbe ruhen sich die Tiere am Strand aus und bei Flut gehen sie auf die Jagd. Sie halten sich gern an Land auf, insbesondere in der Fortpflanzungs- und Fellwechselzeit, wenn sie störungsfreie Rückzugsräume benötigen.
Kegelrobben können sich erst im Alter von frühestens fünf (Weibchen) bis sechs (Männchen) Jahren fortpflanzen. Um sich gegen Rivalen behaupten zu können, müssen die Männchen laut Deutsche Wildtierstiftung sogar mindestens acht Jahre alt sein.
Während der Fortpflanzungszeit leben die Tiere in kleineren Kolonien aus einem Männchen und etwa sechs Weibchen.
Besonders erfolgreiche und starke Männchen haben sogar zehn Weibchen sowie deren Jungen in ihrem Harem. Auch größere Gruppen mit mehreren Männchen, die jeweils einen Harem haben, kommen zusammen. Dabei kann es allerdings zu Revierkämpfen kommen.
In der Paarungszeit kommen Kegelrobben meist zu ihrer Geburtsstätte zurück. Die Männchen kommen vor den Weibchen an Land an und richten sich Reviere ein. Zwischen Ende November und Anfang Februar – in der Ostsee von Februar bis März – werfen die Weibchen nach elf Monaten Tragzeit ihren Nachwuchs und bevölkern Dünen, Eisschollen und Felsen. Jedes Weibchen bringt ein Jungtier zur Welt. Der Nachwuchs ist bereits mit vier Wochen entwöhnt, danach paaren sich Männchen und Weibchen erneut.
Im Winter schützt das Lanugo die Jungtiere nur in den ersten Wochen vor Kälte, weswegen die Welpen schnell an Gewicht zulegen müssen. Die Mütter drängen ihre Kleinen ständig zum Milchtrinken, sodass diese nach etwas mehr als zwei Wochen ihre Größe und ihr Gewicht vervierfacht haben. Die Mütter verlieren wiederum bis zu einem Drittel ihres Körpergewichts, da sie in dieser Zeit nicht auf die Jagd gehen.
Nach der Entwöhnung müssen Kegelrobbenwelpen eine längere Fastenzeit durchstehen, in der sie in der Regel am Ort ihrer Geburt bleiben und keinen Kontakt zu ihrer Mutter haben. Diese ist bereits wieder jagen, um die Energiereserven aufzufüllen, und oft mehrere hundert Kilometer vom Aufzuchtort entfernt. Sie kehren nicht wieder zu ihren Jungen zurück.

Gefährdung und Gefahren
In der Ostsee haben Kegelrobben keine natürlichen Feinde. Im Atlantik müssen sie sich vor großen Haien, Schwertwalen und Orcas in Acht nehmen.
Der weltweite Bestand an Kegelrobben umfasst laut WWF Deutschland aktuell für alle drei Populationen zusammen bis zu 632.000 Tiere. Der größte Teil – etwa 157.000 Tiere – lebt rund um Großbritannien. In der Ostsee galt die Kegelrobbe durch intensive Jagd und Umweltverschmutzung im letzten Jahrhundert als nahezu ausgerottet. Ein strenges Jagdverbot und eine leicht verbesserte Wasserqualität haben jedoch dazu geführt, dass sich die Bestände seit den 1990er Jahren langsam erholt haben.
Dennoch gelten die Tiere in Deutschland als stark gefährdet und stehen auf der Roten Liste. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sind sie eine streng geschützte Art. Auch das trägt dazu bei, dass sich Kegelrobben in den letzten Jahren wieder erfolgreich vermehren konnten, sofern sie gute Lebensbedingungen - insbesondere ausreichend Nahrung, geeignete Wurfplätze und Ruhezonen - vorfinden.
Nichtsdestotrotz gibt es weiterhin Faktoren, die die Tiere bedrohen, u. a. chemische Belastungen, die Vermüllung der Meere sowie die zunehmende Nutzung der Meere durch den Menschen durch Fischerei und Schiffsverkehr. Da die Kegelrobbe als größter Räuber am Ende der Nahrungskette steht, nimmt sie Schadstoffe wie Quecksilber, die Fische in sich tragen, mit auf. Netze, Fischereigerät und Plastikmüll können dazu führen, dass die Tiere sich verfangen, verletzen oder gar verenden.