Der Rothirsch – sanfter Riese mit stolzem Geweih

Rothirsch

Zahlreiche Mythen, Sagen und Legenden erzählen vom Rothirsch; außerdem spielt er eine zentrale Rolle in der Mythologie der Völker. Einige Beispiele: So war es laut rothirsch.org eine der zwölf Aufgaben des griechischen Helden Herakles, die Hirschkuh Kerynitis zu fangen. Diese trug ein goldenes Geweih, das Symbol des Lichtgottes Apollon. Der römische Dichter Vergil sieht das Hirschgeweih als eine Opfergabe für die Licht- und Jagdgöttin Diana, die häufig in Begleitung einer Hirschkuh mit ebenfalls goldenem Geweih dargestellt wird. Im bekannten Nibelungenlied wird Siegfried von einer Hirschkuh gesäugt, bevor der Schmied Mime ihn aufnimmt. In Ostasien steht der Sikahirsch als Zeichen für die Morgensonne und gilt – neben Drachen und Einhorn – als Glücksbringer.

Hirsch Bronzestatue
Zahlreichen Mythen und Legenden umranken den Hirsch

Merkmale

Rothirsche (Cervus elaphus) sind hierzulande die größten Säugetiere und werden bis zu zwanzig Jahre alt. Die Männchen werden deutlich größer und schwerer; ausgewachsene Tiere messen 1,6 bis 2,5 Meter, die Rückenhöhe beträgt zwischen einem und anderthalb Meter. Die Tiere wiegen - je nach Alter - durchschnittlich zwischen 90 und 350 Kilogramm.

Je älter Hirsche werden, desto schwerer wird ihr Geweih. Mit jedem Jahr wird es größer und verzweigter, bis die Hirsche bis zu 25 Kilogramm tragen müssen. In Mitteleuropa besteht es aus zwei aus dem Stirnknochen ragenden Stangen, von denen meist bis zu drei Enden abzweigen.

Ein Kunstwerk, das die Männchen jedes Jahr neu kreieren: Wenn im Spätwinter das Sexualhormon Testosteron auf einen Tiefstand fällt, werfen sie ihr altes Geweih ab.  Innerhalb von 140 Tagen, bis Ende August, wächst das neue Geweih, für dessen Knochenbildung viel Kalzium benötigt wird. Im immerwährenden Kreislauf der Natur freuen sich die Kleinsten über die abgeworfenen Geweihstangen, denn Mäuse und andere Nagetiere profitieren von dem hervorragenden Kalk- und Phosphorlieferanten.

Rothirsche sind Multitalente. Sie sind nicht nur gute, ausdauernde Läufer, sondern können auch hervorragend springen und schwimmen. Sie springen bis zu zehn Meter weit und können auf bis zu 70 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Die scheuen Tiere verfügen außerdem über ausgezeichnete Sinne. Vor allem Hören, Sehen und Riechen sind ausgeprägt. So kommt es, dass wir Rothirsche bei dem Versuch, sie zu beobachten, leicht verscheuchen. Sie können uns hervorragend wittern. Doch selbst beim Davongaloppieren erkennen wir sie gut: Am Po haben sie einen großen weißen oder gelblichen Fleck, den sogenannten Spiegel, und ihre kurzen Schwänze sind oben schwarz und unten weiß gefärbt. Ihren Namen verdanken Rothirsche übrigens ihrem Fell, das in den Sommermonaten kräftig rotbraun schimmert.

Lebensraum und Nahrung

Obwohl Rothirsche landläufig als Könige der Wälder bezeichnet werden, lebten sie ursprünglich in offenen Landschaften. Zwischen ihren Sommer- und Wintergebieten legten sie große Entfernungen zurück. Als Steppentiere brauchen sie große und ausgedehnte Wälder mit Lichtungen, fühlen sich aber auch in Gebirgswäldern, Heide- und Moorgebieten heimisch. Sie benutzen gern die immer gleichen Wege, die sogenannten Wechsel.

Rothirsche sind Vegetarier und ernähren sich hauptsächlich von Gräsern und Blättern von Bäumen. Außerdem stehen Kräuter, Pilze, Eicheln, Flechten, Beeren und andere Früchte auf ihrem Speiseplan; auch saftige junge Baumtriebe und Baumrinde verschmähen sie nicht.

Auf seinen ausgedehnten Wanderungen, die gut und gerne 40 Kilometer pro Tag betragen können, verbreitet der Rothirsch eine Vielzahl von Pflanzensamen. Diese trägt er einerseits Huckepack: Kletten bleiben im Fell haften; fallen sie auf fruchtbaren Boden, entstehen neue Pflanzen. Andererseits enthält sein Kot eine Vielzahl von Pflanzensamen.

Der Rothirsch leistet somit einen wichtigen ökologischen Beitrag, um seltene Pflanzen vor dem Aussterben zu bewahren. Das Wander- und Fressverhalten kann ein wichtiger Baustein für Offenlandbiotope sein, wo Hirsche ihren Lebensraum aktiv gestalten.

Rotwild Rudel
Hirschkühe und Kälber leben in großen sozialen Rudeln

Lebensweise

Weibchen und Männchen leben die längste Zeit des Jahres getrennt voneinander. Die männlichen Artgenossen streifen als Einzelgänger umher oder finden sich in kleinen, kameradschaftlichen Gruppen zusammen. Die Weibchen pflegen ein sehr soziales Miteinander. Sie leben im Rudel mit den Jungtieren zusammen, wobei eine ältere Hirschkuh den Part der Anführerin übernimmt. Ihrer Weisheit ist es zu verdanken, dass die jungen, unerfahrenen Tiere günstige Futter- und Wasserstellen finden und lernen, ihre Sinne für Gefahren zu schärfen. Ältere Rothirschweibchen gelten als besonders wachsam und intelligent. Umso reifer sie werden, umso geschickter sind sie darin, Jägern aus dem Weg zu gehen. Wenn Gefahr droht, kommunizieren Rothirsche durch Bellen, Grunzen und Brummeln.

Rothirsche sind Überlebenskünstler. Harten Wintern begegnen sie, indem sie ihre Körpertemperatur um bis zu 15 Grad senken; ihr Magen schrumpft und ihr Pulsschlag verlangsamt sich. So sparen sie lebenswichtige Energie. Weil die vorsichtigen Tiere gelernt früher viel gejagt wurden, haben sie gelernt Menschen aus dem Weg zu gehen. Deswegen werden sie erst in der Abenddämmerung aktiv.

Hirschkuh und Kalb
Das Kalb bleibt lange Zeit eng bei seiner Mutter

Fortpflanzung

Im Herbst beginnt die Brunftzeit. Die Hirsche haben Frühjahr und Sommer genutzt, sich in der sogenannten Feistzeit gestärkt und Fettreserven für den kräftezehrenden Kampf um die schönen Hirschkühe gebildet.

Lautes Röhren ertönt, wenn die Hirsche im September und Oktober ihren mächtigen Brustkorb als Resonanzraum nutzen, um das Revier zu markieren und Weibchen anzulocken. Im Imponierschritt präsentieren sie ihr stattliches Geweih und zeigen einander die Breitseite, um sich gegenseitig einzuschüchtern. Nur wenn beide Gegner auf dem Brunftplatz bleiben, kommt es zum Kampf, bei dem die Tiere frontal mit dem Geweih aufeinanderprallen.

Liebesangelegenheiten sind kräftezehrend und so können die männlichen Rothirsche während der Brunft bis zu 20 Prozent ihres Gewichts verlieren. Sie fressen kaum noch, haben viel Stress und reiben sich in Konkurrenzkämpfen auf. Es geht schließlich um alles oder nichts: Der überlegene Platzhirsch paart sich mit den Kühen des Rudels, während die Verlierer leer ausgehen.

Beim Liebesritual wühlen die männlichen Rothirsche mit den Vorderläufen Erdkuhlen auf. In diese urinieren sie und wälzen sich darin. Mit ihrem unwiderstehlichen Duft aus Exkrementen und anderen Sekreten locken sie ihre weiblichen Artgenossen an. Waren sie erfolgreich, ist die Hirschkuh acht Monate lang trächtig. Das Neugeborene kann schon nach ein wenigen Stunden auf wackeligen Beinen stehen, wird jedoch etwa zehn Monate lang Milch trinken und auch danach auf die Führung des Muttertiers angewiesen sein.

Die größeren Geschwister müssen zugunsten des Neugeborenen kurz von der Seite der Mutter weichen, kehren aber nicht selten bald in ihre Nähe zurück. Junge Hirschkühe bleiben beim Rudel der Mutter, und die Männchen verlassen dieses erst mit zwei Jahren.

Hirschgeweih
Hirschgeweihe zählten lange Zeit zu den begehrtesten Jagdtrophäen

Gefährdung und Gefahren

Zu den natürlichen Feinden der Rothirsche gehören Braunbären und Wölfe. Die Jungtiere sind durch Luchse, Füchse oder Greifvögel bedroht. Dennoch geht die gravierendste Gefahr für den Rothirschen vom Menschen aus, der den Hirsch lange Zeit nicht nur bewundert, sondern leider auch gejagt hat. Sein Geweih gilt als begehrte Jagdtrophäe, und seine Eckzähne – auch Grandeln genannt – wurden für die Herstellung von Schmuck verwendet. Durch intensive Jagd war der Rothirsch Mitte des 19. Jahrhunderts hierzulande beinahe verschwunden.

Heute haben sich die Bestände glücklicherweise erholt. Dennoch bedrohen die Eingriffe des Menschen in die Natur seine Existenz. Zu kleine Wildtierbezirke führen zu Inzucht und genetischen Veränderungen, intensive Land- und Forstwirtschaft setzen die Zerstörung seines Lebensraums fort.

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